Wankelmütige Neutrinos
Neutrinos sind verwandlungsfähig: Ein Experiment in Kanada bestätigte,
dass sich Neutrinos in andere Typen umwandeln können. Damit neigt sich der
Streit dem Ende zu, ob die Teilchen nun eine Masse besitzen.
Neutrinos sind bemerkenswert scheue Teilchen und reagieren nur schwach mit Materie. Wenn Sie beispielsweise sicher gehen wollen, dass Ihnen ein Neutrino in die Falle geht, brauchen Sie als Fangnetz einen Bleiblock von 100 Lichtjahren Länge. Das macht die Versuche der Neutrino-Forscher, mehr über die geisterhaften Teilchen zu erfahren, nicht einfacher. Und so gelang es Physikern auch erst 1999, die letzte der drei theoretisch vorhergesagten Neutrinosorten direkt nachzuweisen. Seitdem ist es amtlich: Es gibt Elektron-Neutrino, Myon-Neutrino und Tau-Neutrino.
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Das Sonnen-Rätsel
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Neutrinos sind überaus häufig. So sagen die Modelle der Theoretiker voraus,
dass im Inneren der Sonne zweihundert Billionen Billionen Billionen Elektron-Neutrinos
pro Sekunde entstehen. Doch als Physiker die Zahl der Elektron-Neutrinos hier
auf Erden mit den Vorhersagen der Theoretiker verglichen, wollten sich die Ergebnisse
nicht ganz decken. Nicht dass da ein, zwei Neutrinos fehlten. Nein, gleich die
Hälfte schien auf der Strecke zu bleiben.
Da gab es nur zwei Möglichkeiten: Entweder hatten sich die Theoretiker einen
argen Schnitzer erlaubt, oder die Experimentatoren zählten so wenige Teilchen,
weil mit den Elektron-Neutrinos auf ihrem Weg zur Erde etwas geschah: Sie könnten
sich ja beispielsweise in andere Neutrino-Typen umwandeln (siehe "Mal so, mal
so: Neutrino-Oszillation"), die den Messgeräten der Experimentatoren entschlüpften.
Denn während man Elektron-Neutrinos mit reichlich Geduld und riesigen Detektoren
noch nachweisen kann, ist es mit dieser Chance bei Myon- und Tau-Neutrinos in
der Regel vorbei.
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Der Detektor
am Sudbury Neutrino Observatory |
... gelöst
Entsprechend aufwändig waren auch die Bemühungen am Sudbury Neutrino Observatory
in Kanada. Doch nicht ohne Erfolg. "Wir sind nun recht sicher, dass der Unterschied
nichts mit dem Standard-Modell der Sonne zu tun hat, sondern damit, dass sich
die Neutrinos auf ihrer Reise vom Inneren der Sonne zur Erde ineinander umwandeln.",
sagt Dr. Art McDonald, Sprecher des Experiments. Die Theoretiker sollen also
recht behalten. Die Experimentatoren auch.
Mit 99-prozentiger Sicherheit gehen die Wissenschaftler davon aus, dass sich ein Teil der Elektron-Neutrinos von der Sonne in schwerer nachzuweisende Myon- und Tau-Neutrinos umwandelt. Solche Verwandlungen lassen sich theoretisch einfach erklären, wenn Neutrinos eine Masse besitzen. Diese kann aber nicht allzu hoch sein. Tests haben gezeigt, dass die Masse des Elektron-Neutrinos kleiner ist als der zweihunderste Teil der Masse eines Elektrons. Aber da es so viele von ihnen gibt, brächten dann alle Neutrinos im Universum so viel auf die Waage wie alle Sterne im Weltall zusammen.
Das Standard-Modell der Sonne ist bestätigt. Die Experimentatoren haben sehr
gute Arbeit getan. Die Theoretiker triumphieren. Doch ein Verlierer bleibt:
Das Standard-Modell der Teilchenphysik. Denn mit den neuen Ergebnissen haben
die Forscher seiner jetzigen Version den Todesstoß versetzt, weil es von masselosen
Neutrinos ausgeht. Nun muss deren Masse eingearbeitet werden. Die Theoretiker
sind jetzt wieder am Ball.
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Im Detail: Mal so,
mal so: Neutrino-Oszillation
Wenn sich Teilchen - wie es die Forscher aus Sudbury bei Neutrinos
vermuten - ineinander umwandeln, sprechen Physiker von Oszillation.
Das Wort stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Schwingung. Aber
es ist nicht die Position der Teilchen, die regelmäßig schwankt,
es ist der Typ des Teilchens, der periodisch schwingt. Oder, um
es noch ein wenig vertrackter zu machen: die Wahrscheinlichkeit,
dass ein Neutrino einen bestimmten Typ besitzt, wenn wir nachsehen,
welchen Typ es denn hat.
Betrachten wir ein Beispiel
und darin ein Elektron-Neutrino, das irgendwo entsteht und sich
auf den Weg durch die Weiten des Universums macht. Wenn wir im Moment
seines Entstehens nachsehen, um welchen Neutrino-Typ es sich handelt,
werden wir als Antwort "Elektron-Neutrino" erhalten. Klar! Was auch
sonst?
Doch mit Zeit und Weg
verliert das Teilchen seine Gewissheit, Elektron-Neutrnino zu sein
- die Myon-Neutrino-Anteile werden größer. Irgendwann liegen sie
sogar bei 50 Prozent. Wenn wir an diesem Ort nachschauten, fänden
wir in 50 von 100 Fällen ein Elektron-Neutrino vor, und sonst ein
Myon-Neutrino. Dieselbe Strecke später entdecken wir nur noch ein
Myon-Neutrino - hundertprozentig. Der Vorgang setzt sich regelmäßig
- wie Schwingungen nun mal sind - fort.
Mathematisch lässt sich
diese Typ-Schwingung leicht erklären, wenn Neutrinos eine Masse
haben.
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Im
Detail: Das Sudbury Neutrino Observatory
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Das
SNO ist eine unterirdische Anlage |
Das Sudbury Neutrino
Observatory gehört zur Gattung der Neutrino-Teleskope. Was sich
bei Licht-Teleskopen als Schildbürgerstreich erweisen würde, ist bei
Neutrino-Teleskopeen Programm: Man schafft für sie Platz tief im Inneren
der Erde. Zwei Kilometer unterhalb von Ontario in Kanada befindet
sich ein gigantischer Tank mit 1000 Tonnen schwerem Wasser. Hier betreiben
100 Wissenschaftler aus Kanada, den USA und Großbritannien die Forschungs-Anlage
in der Gewissheit, dass nur noch Neutrinos die enormen Gesteinsmassen
durchdringen.
Das besondere an dem
Teleskop ist, dass schweres Wasser (H2O) verwendet wird;
das ist Wasser, deren Wasserstoffatome (H) ein zusätzliches Neutron
besitzen. Stößt ein Elektron-Neutrino auf ein solches Neutron, verwandelt
sich dieses in ein Proton und ein Elektron entsteht. Dieses Elektron
kann aufgrund der Tscherenkow-Strahlung, die es aussendet, von den
9000 Lichtsensoren nachgewiesen werden, die kugelförmig um den Wassertank
angeordnet sind. In Sudbury registriert man auf diese Weise 10 Elektron-Neutrinos
pro Tag.
Nachdem aus über 350
Millionen Lichtblitze knapp 1200 Neutrino-Reaktionen ausgewählt
und vermessen wurden, kamen die Wissenschaftler zum Ergebnis: Mit
99-prozentiger Sicherheit wandeln sich Neutrinos ineinander um.
In dieses Resultat flossen auch die Messergebnisse des japanischen
Super-Kamiokande-Experiments ein.
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Wissenschaftliche
Quelle
Kurz und knapp
- Können
sich die drei Neutrino-Typen ineinander umwandeln? - eine Frage, die bisher
noch nicht völlig geklärt war.
- Das Sudbury
Neutrino Observatory sagt mit 99-prozentiger Sicherheit: Ja, sie können.
Neutrinos hätten damit auch eine Masse.
- Daher muss
das Standard-Modell der Teilchenphysik geändert werden, da es in seiner
aktuellen Version von masselosen Neutrinos ausgeht. Die Theoretiker sind wieder
am Ball.
Weblinks
The Sudbury Neutrino
Observatory
Auf den Seiten des kanadischen Sudbury Neutrino Observatoriums sind auch allgemeine
Informationen zu Neutrinos zu finden.
History
of the neutrinos
Hier wird der Geschichte rund ums Neutrino viel Aufmerksamkeit geschenkt.
- Mehr Links
in KworkQuarks Hyperraum unter Physik > Teilchenphysik > Neutrinophysik
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