Tscherenkows Doppelleben
Müssen Teilchenphysiker ihre experimentellen Daten in einem neuen Licht
betrachten? Ergebnisse aus der Festkörperphysik lassen es vermuten. Denn
die so genannte Tscherenkow-Strahlung führt ein Doppelleben.
"Nichts ist schneller als Licht." Das ist kein Einstein-Zitat, sondern
zuweilen recht falsch. Denn ob sich etwas schneller als Licht bewegen kann,
hängt davon ab, wo das Wettrennen stattfindet. Im Vakuum ist Licht unangefochtener
Champion: Die Lichtgeschwindigkeit beträgt dort 300.000 km/s und stellt
damit das absolute Tempolimit dar. Doch in bestimmten Medien bewegt sich Licht
langsamer. Energiereiche Teilchen, wie sie beispielsweise in Experimenten der
Teilchenphysik entstehen, können dann bequem vorbeiziehen.
Jedoch nicht,
ohne auf sich aufmerksam zu machen. Denn wenn ein elektrisches Teilchen die
Lichtmauer durchbricht, bildet sich ein verräterischer Lichtkegel - ähnlichem
dem Schallkegel bei einem Überschall-Jet. In besonderen Teilchendetektoren
wird die Öffnung dieser Kegel vermessen, um damit Rückschlüsse
auf die Geschwindigkeit des Teilchen zu ziehen.
Entdeckt wurde
das Phänomen im Jahr 1934 von Pawel A. Tscherenkow (1904-1990). Eine theoretische
Erklärung kam dann 1937 von Igor Y. Tamm und Ilia M. Frank. Den Nobelpreis
dafür gab es 1958.

Das bisher bekannte
Leben der Tscherenkow-Kegel: Licht, das von Überlicht-schnellen Teilchen
stammt, bildet charakteristische Kegel aus.
Die Sache schien
soweit geklärt. Doch Wissenschaftler vom Stuttgarter Max-Planck-Insitut
für Festkörperforschung und von der University of Michigan haben in
einem Experiment gezeigt, dass Tscherenkow-Kegel auch bei Geschwindigkeiten
unter der des Lichts auftreten. Die Forscher haben auch bereits eine Weiterentwicklung
des theoretischen Modells zur Hand. Danach kommen zu jeder beliebigen Kegelöffnung
jeweils zwei verschiedene Teilchengeschwindigkeiten infrage: Die eine liegt
oberhalb und die andere unterhalb der Geschwindigkeit des Lichts im entsprechenden
Material.
Die Ergebnisse könnten dazu beitragen, dass Teilchenphysiker noch einmal
ihre Daten überprüfen müssen, wonach sich die eine oder andere
Abweichungen zwischen Experiment und Theorie in Luft auflösen könnte..
Kurz und knapp
- bisheriger Glaube: Teilchen, die sich in einem Medium schneller als das
Licht bewegen, geben Strahlung in Form von Tscherenkow-Kegeln ab. Aus deren
Form lässt sich auf die Geschwindigkeit des Teilchens schließen.
- neue Erkenntnis: Der Tscherenkow-Effekt tritt auch bei Geschwindigkeiten
unterhalb der des Lichts aus.
- mögliche Konsequenz: Teilchenphysiker müssen Ihre experimentellen
Daten in diesem neuen Licht betrachte
Wissenschaftliche Quelle
- T.E. Stevens, J.K. Wahlstrand, J. Kuhl, R. Merlin, "Cherenkov Radiation
at Speeds Below the Light Threshold: Phonon-Assisted Phase Matching", Science,
26 January 2001
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